Björn schreibt aus Ghana:

Nachdem ich mich vor etwa zwei Monaten endlich aufgerafft habe, die Bhagavad-gita anzufangen, realisiere ich so viele Dinge, die sich auf mein Alltagserleben auswirken. Dieses Buch lag Jahre in meinem Regal, bis es mir jetzt, wo ich mich gerade in einem Freiwilligendienst in Ghana befinde, viel Stoff zum Nachdenken bringt.

Es wird an so vielen Stellen im Buch vom Krishnabewusstsein gesprochen, an einigen werden die Qualitäten von Menschen beschrieben, die in diesem Bewusstsein sind, aber nicht ganz klar ist mir bisher wie genau ich in beliebigen Alltagsmomenten mich diesem Bewusstsein annähern soll. Ist das Krishnabewusstsein ein Sammelbegriff für einen Zustand von materieller Loslösung, Gleichmut, Gedanken- und Sinneskontrolle und einem Gefühl, immer in Begleitung zu sein? Wie würdest du das sagen?

Und weiter steht irgendwo, dass man unbedingt einen Mentor braucht, um richtig voranzukommen – wie siehst du das?

An einer Stelle steht, dass man sich von Leuten fernhalten solle, die dich nicht im Krishnabewusstsein unterstützen, aber das ist im Alltag ja kaum möglich. Ich habe manchmal das Gefühl, als dass mein derzeitiges Umfeld mich wenig im spirituellen Wachstum fördert, aber vielleicht mache ich mir da ja auch etwas vor und ich soll gerade so wie es jetzt ist Dinge lernen…

Es wird gesagt, dass um Kali-yuga gerade Dhyana-yoga (Verbindung zu Gott durch Meditation) wenig effizient ist und man lieber chanten solle – wie stehst du dazu?

Und zu guter letzt… wie bist du eigentlich Mönch geworden und was hat dich dazu bewegt?

Antwort von S.G. Chandra:

Haribolo Björn,

bezüglich Dhyana-yoga, ist es laut den Veden im Kali-yuga nur in Verbindung mit Kirtan wirklich effizient. Zur heutigen Zeit ist unser Geist so rastlos, gegenwärtig noch um ein vielfaches verstärkt durch all die Medien die den Äther und unsere Umgebung durchdringen. Wir sind umgeben von soviel Ablenkung, dass es schwierig ist eine langanhaltende, stille Meditation durchzuführen. Daher empfehlen die Veden unsere Meditation durch das laute Chanten von Mantras zu stützen. Der Klang reinigt den Äther, überdeckt und übertönt all die Einflüsse die auf uns einstürzen. Sprichwörtlich ist das Mantra ein Instrument um unseren Geist zu führen. Das Wort wird gebildet aus den Wörtern “manas” = der Geist und “trayate” = lenken, leiten.

Mantren sind daher spezielle Klangformeln die den Geist von außen, der Welt der Sinne, nach Innen, zur Welt der Seele führen. Es ist bei den gegenwärtigen Umständen das mächtigste Instrument für spirituelles Leben und unter allen Mantren gilt das  Maha-Mantra, der große Mantra, als das mächtigste Mantra das die Wirkung aller anderen Mantren beinhaltet. 


KRISHNABEWUSSTSEIN = Gottesbewusstsein, ergo die höchste Blüte bzw. Stufe des Bewusstseins.

Bewusstsein ist der direkte Ausdruck der Seele, so wie Licht und Wärme der direkte Ausdruck der Sonne ist. Sein Bewusstsein zu entwickeln bedeutet sich als Seele, als die eigentliche Person, zu entwickeln und ist das letztliche Ziel unseres Daseins. Krishnabewusstsein in seiner reinen Form heisst daher ununterbrochen in Kontakt mit Krishna zu sein und alles Existierende in Beziehung zu ihm zu sehen, bzw. alles Existierende für IHN, also dem Dienst zu IHM einzusetzen. Diese Bewusstseinsstufe äußert sich durch verschiedene Symptome, unter anderem

– völlige Loslösung und damit unerschütterlicher innerer Friede, Ausgeglichenheit, Freiheit von Lust, Zorn, Gier, Neid, Illusion und Stolz.

– vollkommenes Wissen, heißt durch geläuterte Sinne alles so wahrnehmen wie es wirklich ist, immer an die innere Stimme/ Intuition angebunden sein; fähig Ort, Zeit und Umständen die richtige Entscheidung zu treffen, also ultimativ immer zu wissen und umzusetzen was der persönlichen Entwicklung förderlich ist und vermeiden was abträglich ist.

Der Begriff Krishnabewusstsein wird jedoch auch häufig verwendet um die Praxis und Einstellung zu bezeichnen die zu diesem Ziel führt. Heisst also auch die Bemühung nach spirituellen Prinzipien zu leben und Teilfortschritte auf diesem Pfad können als “Leben im Krishnabewusstsein” bezeichnet werden. In beliebigen Alltagsmomenten heisst das, sich zu bemühen nach dem Vorbild der selbstverwirklichten Meistern zu handeln und jede Situation durch ihre Augen, d.h. durch die Augen der offenbarten Schriften (wie die Bhagavad-gita) zu sehen. Und ja, das äußert sich durch materielle Loslösung, Gleichmut, Gedanken- und Sinnesbeherrschung und dem Wissen, dass wir immer vom Param-atma, der höchsten Seele begleitet und geführt werden.

DER MENTOR – ist absolut notwendig, so das die Theorie zur Praxis wird. Bereits jetzt öffnet uns der MENTOR, oder GURU, unsere Augen und erweitert unseren persönlichen Horizont. Er wohnt in unserem Herzen als die innere Stimme, auch Chaitya-guru (der innere Guru/ Meister) oder Param-atma (die höchste Seele) genannt. Desweiteren manifestiert sich der Mentor durch die offenbarten Schriften, wie die Bhagavad-gita und das Srimad Bhagavatam. Aber um die so gewonnenen Erkenntnisse auch praktisch umzusetzen zu können, zumindest bei allem was über das Nirvana, also die Beendigung der materiellen Existenz hinausgeht, ist es notwendig diesen einen MENTOR/ MEISTER/ GURU leibhaftig anzutreffen.

So oft wissen wir was das Richtige zu tun wäre, aber wie häufig scheitern wir und tun stattdessen etwas anderes? Wir brauchen Vorbilder die wir emulieren können. Alles im Leben haben wir uns durch nachahmen angeeignet, es ist natürlich. Vom Essen, Laufen, Sprechen bis zu den Verhaltensweisen und Überzeugungen die wir von unseren Freunden und Leitbildern angenommen haben (was nicht bedeutet das wir dabei nicht individuell bleiben, denn keiner spricht oder läuft völlig gleich wie jemand anderes). Wenn wir wissen wollen, wie wir uns in beliebigen Alltagsmomenten dem Krishnabewusstsein annähern sollen, dann brauchen wir Beispiele denen wir folgen können.

Außerdem wird die Überzeugung das dieses Ziel tatsächlich erreichbar ist, dass man tatsächlich so vollkommen sein und leben kann, erst dann wirklich tief verwurzelt und reif sein, wenn wir jemandem begegnen, der es tatsächlich erreicht hat. Jemand der das gelebte Wort ist, der all die Ideale verkörpert die in den Schriften festgehalten sind.  Letztlich ist der MENTOR immer der eine Vater und Lehrer der Menschen, Krishna selbst. Aber jemand der mittels seiner Hingabe unzertrennlich mit Krishna verbunden ist, wird sein direktes Instrument, sein direkter Repräsentant und Bevollmächtigter. So wie Srila Prabhupada oder Jesus Christus. Sie handeln wahrhaftig im Namen Gottes und repräsentieren SEINEN Willen. Daher werden sie als nicht verschieden angesehen.

GEMEINSCHAFT – ist der Schlüssel zum Erfolg. Sag mir mit wem Du bist und ich sag Dir wer Du bist. Die Veden vergleichen in dieser Beziehung unser Bewusstsein mit einem Kristall. Der Kristall spiegelt die Farbe seine direkten Umgebung wieder (liegt er auf einem grünen Stoff, erscheint er grün, auf einem roten Stoff rot). Auf ähnliche Weise spiegelt unser Bewusstsein die Eigenschaften derer mit denen wir Gemeinschaft pflegen. Heisst wir assimilieren die Verhaltensweisen und Überzeugungen unseres sozialen Umfelds.

Gemeinschaft bedeutet nicht zwangsläufig all die Menschen mit denen wir in Kontakt kommen, sondern diejenigen mit denen wir Bindungen eingehen. Je inniger und vertrauter ein Verhältnis ist, desto größer ist gegenseitige Anbindung und damit Angleichung. Das kann auch über große räumliche oder sogar zeitliche Distanz geschehen, bzw. kann uns u.U. direkte räumliche oder zeitliche Konvergenz gar nicht berühren.

Im Alltag werden Bindungen vornehmlich gestärkt durch

– Annehmen oder Geben von Geschenken/ Gefälligkeiten

– Offenbaren oder Erkunden von persönlichen Gefühlen, Ansichten, Geschichten

– Gemeinsame Mahlzeiten, insbesondere bekochen oder bekocht werden

Möchte man bestimmte Gemeinschaft vermeiden, dann geschieht das nicht durch Ablehnung, was nur eine Bindung durch negative Emotionen herstellt, weshalb leidenschaftliche Kritiker im Laufe der Zeit häufig die Eigenschaften entwickeln die sie zuvor ablehnten (Kinder werden wie ihre Eltern, Revoluzzer werden Spießer, die Opposition zum Establishment etc.). Das einzige Mittel ist Neutralität, heisst innerlich distanziert und unbeteiligt zu sein. Es ist nicht unsere Aufgabe unsere Mitmenschen oder die Welt zu verändern, sondern uns selbst (und der Rest passiert automatisch).

Zusammenfassend ist es empfehlenswert seine Gemeinschaft sorgfältig zu wählen und sich mit den Menschen zu umgeben, die haben, was man selbst gerne erreichen möchte.

Inwiefern Deine gegenwärtige Situation Dich gerade hemmt oder unterstützt musst Du entsprechend Deiner persönlichen Wünsche und Ziele selbst einschätzen. Sicher ist, dass nichts aus Zufall passiert und wir aus jeder Situation lernen können und sollen, was unter Umständen auch bedeutet Konsequenzen zu ziehen und sich aus bestimmten Umständen zurückzuziehen. Ist spirituelle Entwicklung die Priorität, dann ist objektiv betrachtet das beste Umfeld in einem Ashram mit gleichgesinnten, spirituell engagierten, liebevollen und achtsamen Menschen zu finden. Was in Essenz schon Deine Frage beantwortet warum ich Mönch geworden bin.

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