Srila Bhaktivinoda Thakur’s

Jaiva Dharma
Die Natur der Seele

Einleitung zur zweiten Hindi-Ausgabe
von Sri Srimad Bhakti Pragyan Keshava Goswami Maharaj

Einleitung vorlesen


Nahezu alle der vielzähligen, religiösen Traditionen der Welt bedienen sich unterschiedlichster Methoden, um ihre jeweiligen Ideale zu propagieren. Zu diesem Zweck veröffentlichen sie Literatur in verschiedenen Sprachen. Es versteht sich von selbst, dass im Bereich der säkularen Bildung elementare, weiterführende und fortgeschrittene Ebenen, sowie grundlegende und höhere Wissenszweige existieren. In ähnlicher Weise ist es selbstverständlich, dass es in den metaphysischen Lehren der verschiedenen religiösen Traditionen ebenfalls unterschiedliche Grade des Wissens gibt. Dies wird im Allgemeinen auch von jenen bestätigt, die in den vergleichenden Religionswissenschaften äußerst gelehrt und belesen sind.

Unter all diesen religiösen Ideologien, sind Sri Chaitanya Mahaprabhus Lehren über die Religion von Prema (transzendentaler Liebe) in jeder Hinsicht die höchste Offenbarung. Sicherlich werden alle unvoreingenommenen Denker, sobald sie mit solch einem erhabenen Verständnis vertraut gemacht werden, dieser Tatsache einmütig zustimmen.

Jeder möchte von den höchsten Idealen und Lehren inspiriert werden, doch wie kann dieser Glück verheißende Wunsch Früchte tragen? Die große befreite Persönlichkeit und das Kronjuwel der Bildungselite, Srila Bhaktivinoda Thakur, hat mit diesem Gedanken etliche Bücher über Vaishnava-dharma in unterschiedlichen  Sprachen verfasst und durch sein persönliches Vorbild das höchste Ideal des spirituellen Lebens etabliert. Seine Werke enthalten in einfacher Sprache eine ausführliche Beschreibung der Philosophie Sri Chaitanya Mahaprabhus. Unter all den Publikationen des Autors, wird dieses Jaiva-Dharma von religiösen Denkern der Welt als die Quintessenz seiner Werke verstanden.

Die Veden sind die ältesten Schriften der Welt. Ihre Folgeschriften, zu denen die Upanishaden und andere von Sri Vedavyasa zusammengestellte Literatur gehören, sind ausnahmslos vollendete literarische Werke. Im Laufe der Zeit wurde eine Vielzahl von Arbeiten verfasst, die von den in dieser Literatur formulierten Ideale inspiriert waren. Sie wurden weit verbreitet und erfreuten sich so großer Beliebtheit. Jedoch finden sich in diesen Texten nicht nur unterschiedlich gefärbte Denkweisen, einseitige und widersprüchliche Ansichten, sondern auch sich gegenseitig ausschließende, polarisierende Glaubenssätze und spekulative Philosophien. Infolgedessen kam es in religiösen Sphären immer wieder zu Umwälzungen und verheerenden Geschehnissen, die bis zum heutigen Tag andauern.

Unter derartig prekären Umständen erschien vor etwas mehr als fünfhundert Jahren der höchste ursprüngliche Herr, die absolute Wahrheit, Svayam Bhagavan, um die bedingten Lebewesen zu befreien und erwählte dazu den erhabensten der sieben heiligen Orte, Sridham-Mayapur, im Gebiet von Nawadvip. Zu dieser Zeit ermächtigte der Herr gezielt einige Seiner geliebten Gefährten, umfangreiche Schriftwerke zu verfassen, welche die wahre Bedeutung und Essenz aller Shastras enthielten. Durch das Medium dieser Literatur wünschte Er Bhakti, welche die Wurzel Divya-gyans (transzendentalen Wissens) ist, in die Herzen der Menschen einzubringen. Mit Ausnahme von drei oder vier Werken, wurden diese Schriften in Sanskrit verfasst.

Sri Rupa und Sri Sanatan Goswami zählen zu den erhabensten und engsten Gefährten Sri Chaitanya Mahaprabhus, und Srila Jiva Goswami war ihnen so lieb, dass er gewissermaßen eine äquivalente Repräsentation ihrer selbst wurde. Er extrahierte die Essenz aller Shastras und schuf auf diese Weise die Sat-sandarbhas und weitere Sanskritschriften. Mittels dieser Bemühungen erfüllte Svayam Bhagavan Seinen innigen Wunsch Sein Lila (göttliches Spiel) der Befreiung der Seelen zu vollziehen.

Manche Menschen, die nicht in der Lage sind die wahre Bedeutung der Shastras zu verstehen, sind genötigt, sie entsprechend ihres relativen Verständnisses zu interpretieren. In manchen Fällen geben sie den Sinngehalt dieser Schriften nur unvollständig wieder, mitunter verschleiern ihre Interpretationen die wahre Bedeutung, und bisweilen steht ihre Sichtweise sogar im völligen Widerspruch zum ursprünglichen Anliegen. Srila Jiva Goswami gehört zu keiner dieser Kategorien. Die Unterweisungen die aus seiner Feder flossen, sind die absoluten und unumstößlichen Unterweisungen Sriman Mahaprabhus, welche sich nicht von den Unterweisungen der  Veden, der Upanishaden, des Mahabharatas und des Srimad Bhagavatams unterscheiden. Basierend auf den makellosen und vollständigen Erläuterungen dieser Lehren, wurde das Jaiva-Dharma in seine erstaunliche Form gebracht. Um dem Leser die Bedeutsamkeit und den Nutzen dieses Buches vor Augen zu führen, werden wir nun eine Analyse der Bedeutung seines Titels vorlegen.

Der Autor gab diesem Buch den Titel Jaiva-Dharma. Da jeder von uns an einer bestimmten Vorstellung von Dharma (Bestimmung oder Religion) festhält, ist es nicht geboten, dies weiter auszuführen, auch aus Platzmangel. Wenn im Sanskrit die Nachsilbe ‘an’ dem Wort Jiva (Lebewesen) hinzugefügt wird, bewirkt es, dass der mittlere Vokal verstärkt wird und das ‘n’ der Nachsilbe wegfällt, und so erhalten wir das Wort Jaiva. Das Wort Jaiva bedeutet ‘gehörig zum oder bezogen auf den Jiva’. Daher bezieht sich das Jaiva-Dharma auf das Dharma des Jivas, also auf die charakterisierende Veranlagung des Lebewesens. Was aber ist in diesem Zusammenhang mit dem Begriff Jiva gemeint? Der Autor beantwortet diese Frage im Buch ausführlich, dennoch halte ich es für notwendig kurz ein oder zwei Punkte aufzuführen.

Das Wort Jivana (Leben) kommt von dem Wort Jiva, was soviel wie ‘einer, der Leben hat’ bedeutet. Mit anderen Worten, alle Lebewesen werden als Jivas bezeichnet. Daher verwendet der Autor den Begriff ‘Jaiva-dharma’ um auf die wesensgemäße Natur des Lebewesens hinzuweisen.

Sri Chaitanya Mahaprabhu unterwies die Menschheit welche Art von Dharma die Lebewesen anstreben und umsetzen sollten, durch Seine Ihm völlig hingegebenen Anhänger, die sechs Goswamis – angeführt von Sri Rupa, Sanatana und Jiva Goswami. Etwa vierhundert Jahre später ist der Autor dieses Buches, Srila Bhaktivinoda Thakur, der auch als der ‘siebte Goswami’ bekannt ist, nicht unweit von Sridham-Mayapur erschienen, dem Geburtsort Sri Gaurangas. Da er sehr weichherzig und voller Mitgefühl für die Not aller Geschöpfe ist, verfasste er – auf Bengali – das Jaiva-Dharma. Sri Krishnadas Kaviraj Goswami, ein geliebter Gefährte Sri Gaurangas, hat auf Seinen Wunsch hin die Essenz der Lehren von Bhagavan Sri Gaurachandra im Sri Chaitanya-charitamrita festgehalten. Dies wird im folgenden Shloka ausgedrückt:

jivera svarupa haya krishnera nitya dasa
krishnera tatastha-shakti bhedabheda prakasha

(Sri Chaitanya-charitamrta, Madhya 20.108)

“Der natürliche Zustand des Jivas ist es, ein Diener Krishnas zu sein. Der Jiva entspringt der marginalen Energie Krishnas und ist eine Manifestation, die sowohl eins mit Krishna, als auch verschieden von Ihm ist.”

Der Autor gründet sein Jaiva-Dharma auf diesem Shloka, welcher der Bij-mantra (Grundsatz) aller Lehren der Gaudiya Vaishnavas ist. Folglich ist dieses Buch für alle Menschen geeignet und segensreich, unabhängig von Volkszugehörigkeit, gesellschaftlichem Stand, Lebensphase, Zeit, Ort oder Person. Doch nicht nur das, es ist sogar für Seelen in anderen Lebensformen nützlich, seien es Steine, Tiere, Vögel, Insekten, Wasserlebewesen oder andere sich bewegende oder nicht bewegende Kreaturen.

Es gibt viele erwähnenswerte Beispiele von Individuen, die keine menschliche Gestalt hatten, aber dennoch Jaiva-dharma praktizierten. Ahalya im Körper eines Steines, die Yamalarjuna-Zwillinge und die sieben Talas in den Körpern von Bäumen, König Nrga im Körper einer Eidechse, Bharat Maharaj in der Form eines Rehs, Surabhi in Gestalt einer Kuh, Gajendra im Leib eines Elefanten, Jamavanta im Gewand eines Bären, sowie Angad und Sugriva in der Gestalt von Affen. Der Lehrer des gesamten Universums, Brahma, betete zu Svayam Bhagavan Sri Krishna, er möge den Dienst zu Seinen Lotosfüßen erlangen, selbst wenn es bedeuten sollte, als Grashalm, Strauch, Tier oder Vogel geboren zu werden. Dies wird im Srimad Bhagavatam (10.14.30) erwähnt:

tad astu me natha sa bhuri-bhago
bhave ‘tra vanyatra tu va tirashcam
yenaham eko ‘pi bhavaj jananam
bhutva nisheve tava pada-pallavam


“Mein lieber Herr, ich bete darum, dass Du mich so mit Glück segnest, dass ich mich zu Deinen Geweihten zählen darf und völlig im hingebungsvollen Dienst zu Deinen Lotosfüßen beschäftigen. Sei es in diesem Leben als Brahma oder im nächsten, selbst wenn ich als Tier geboren werden würde.”

Prahlada Maharaj, der König unter den Bhaktas, drückte dieses Bestreben noch deutlicher aus, Jaiva-dharma in Form des Dienstes zu Bhagavan zu erlangen, selbst wenn dies bedeuten würde, in der tierischen oder irgendeiner anderen der Tausenden von Lebensformen geboren zu werden:

natha yoni-sahasreshu yeshu yeshu vrajamy aham
teshu teshv acala bhaktir achyutastu sada tvayi

(Vishnu Purana)

“Oh Achyuta, in welcher der Tausenden von Lebensformen ich auch immer gezwungen sein mag zu wandeln, bitte lass mich Dir immer unbeirrbar hingegeben sein.”

Der Autor, Srila Bhaktivinoda Thakur, hat in seinem Buch Sharanagati ebenfalls in ähnlicher Weise gebetet:

kita janma hau yatha tuya das
bahir-mukha brahma-janme nahi ash
(Saranagati, Atma-nivedana, Lied 3)

“Lass mich geboren werden – selbst wenn als Insekt – wo immer Deine Geweihten zu finden sind. Ich möchte nicht als ein Brahma geboren werden, der Dir gegenüber gleichgültig ist.”

Die Unterweisungen des Jaiva-Dharma sind daher für alle Lebewesen geeignet und empfehlenswert. Mit diesen Lehren tief im Herzen, kann jedes Geschöpf leicht dauerhaft von den schrecklichen Qualen befreit werden, die von den unüberwindlichen Fesseln der Illusion, sowie vom Trugbild trivialen und falschen Vergnügens ausgehen. Darüber hinaus werden solche Seelen in die Glückseligkeit des Dienstes zu Bhagavan eintauchen und auf diese Weise geeignet den höchsten Frieden und den Gipfel transzendentaler Freude zu erfahren.

Eingangs wurde bereits darauf hingewiesen, dass es im Bereich weltlicher Bildung höhere und niedrigere Stufen des Wissens gibt. In ähnlicher Weise ist anerkannt, dass im Bereich der religiösen Wahrheit ebenfalls erhabenere und gewöhnlichere Stufen der Erkenntnis existieren. Nur Menschen von bedeutender Qualifikation können das Ideal annehmen, welches in den fortgeschrittenen Lehren geschildert wird.

Daraus ist zu schließen, dass die menschliche Lebensform allen anderen überlegen ist. Neben den Menschen existieren noch viele weitere Arten von Lebewesen. Das Wort Prani (das, was lebendig ist), oder Jiva, bezieht sich auf ein bewusstes Wesen. Wir befassen uns hier also nicht mit lebloser Materie oder Objekten die kein Bewusstsein besitzen. Die natürliche Wesensart eines bewussten Subjekts wird Dharma genannt, was sich auf die Tendenz des Bewusstseins bezieht, beziehungsweise auf die Natur, die der eigenen, wahrhaften Identität entspringt. Das Konzept von Dharma ist untrennbar mit Chetana (Bewusstsein) verbunden.

Das sechzehnte Kapitel dieses Buches enthält eine detaillierte, dem modernen Wissenschaftsverständnis entsprechende Analyse der systematischen Entwicklung des Bewusstseins. Bewusste Wesen, die von Illusion gefesselt sind, finden sich in fünf Kategorien: 1) Acchadita-chetana (verdecktes Bewusstsein), 2) Sankuchita-chetana (verkümmertes Bewusstsein), 3) Mukulita-chetana (aufkeimendes Bewusstsein), 4) Vikasita-chetana (erblühendes Bewusstsein) und 5) Purna-vikasita-chetana (voll erblühtes Bewusstsein). Solche bewussten Geschöpfe werden als Jivas oder Prani bezeichnet. Diese fünf Stufen der Lebewesen werden wiederum in zwei Kategorien geteilt: sich nicht bewegende Kreaturen (sthavara) und sich bewegende Kreaturen (jangama).

Von Bäumen, Pflanzen, Sträuchern, Steinen und anderen sich nicht bewegenden Geschöpfen wird gesagt, dass sie ein bedecktes Bewusstsein (acchadita-chetana) haben. Während die Organismen dieser Kategorie unbeweglich sind, da ihr Bewusstsein vollständig bedeckt ist, sind die der vier anderen Klassen beweglich. Tiere, Vögel, Insekten und Wasserlebewesen besitzen ein verkümmertes Bewusstsein (sankuchita-chetana). Alle Jivas, die nicht als Menschen geboren werden, weilen also in bedeckten oder verkümmerten Bewusstseinszuständen. Seelen in menschlichen Körpern dagegen, finden sich auf der aufkeimenden, erblühenden oder voll erblühten Ebene des Bewusstseins. Obwohl die empfindungsfähigen Wesen in den drei zuletzt genannten Bewusstseinsebenen ihrem äußeren Erscheinungsbild nach Menschen sind, werden sie dennoch, entsprechend der Entwicklung ihres Bewusstseins, unterschiedlich eingestuft. Demzufolge wird menschliches Bewusstsein als auf der anfänglichen, mittleren oder fortgeschrittenen Entwicklungsstufe befindlich betrachtet. Dessen ungeachtet sind Bäume, Pflanzen, Sträucher, Tiere, Vögel und Menschen allesamt Jivas, und die Verehrung von Bhagavan ist ihr einzig wahres Dharma. Dennoch sind die Menschen aufgrund ihres entwickelten Bewusstseins allen anderen überlegen, und ihr spezifisches Dharma, welches in Gottesverehrung besteht, ist als Jaiva-dharma bekannt.

Der Zustand des Bewusstseins wird daran bemessen, wie sehr der Verstand, beziehungsweise die Wahrnehmung bedeckt ist. Zweifellos ist der Mensch allen anderen irdischen Kreaturen überlegen, dennoch ist es essenziell zu verstehen, worauf sich diese Überlegenheit begründet. Man kann nicht sagen, dass der Mensch den Bäumen, Pflanzen, Insekten, Tieren, Vögeln und Wasserlebewesen an Schönheit und Charme überlegen ist. Ebensowenig bezüglich ihrer Gestalt und Erscheinung oder ihrer Stärke und Vitalität. Aber in Bezug auf seine geistigen Fähigkeiten, der Entwicklung seines Intellekts und seinem erweiterten Bewusstseins, übertrifft der Mensch alle anderen Geschöpfe in jeder Hinsicht. Eben sein besonderes Dharma wird im Jaiva Dharma analysiert. Obgleich sich Jaiva-dharma allgemein betrachtet auf die Natur aller Lebewesen bezieht, sollte es dennoch als das spezifische Dharma der menschlichen Lebensform verstanden werden. Denn die erforderliche Voraussetzung für das höchste Dharma ist nur unter den Lebewesen mit höher entwickeltem Bewusstsein zu finden.

Nun könnte man die Frage stellen, warum dieses Buch den Titel Jaiva-dharma und nicht Manava-dharma oder Manushya-dharma (Religion der Menschen) trägt. Eine genauere Betrachtung zeigt, dass die wahre Neigung des Menschen im Praktizieren von Dharma [im Sinne von Religion] besteht; und Religion findet man in der Regel nicht bei anderen Lebensformen. Bäume, Pflanzen, Steine, Würmer, Insekten, Fische, Schildkröten, Landtiere, Vögel, Schlangen und andere Lebewesen werden zwar zu den Jivas gezählt, doch zeigen sie nicht jene fromme Neigung, die durch das Streben nach Moksha (Erlösung) oder durch die Verehrung Bhagavans gekennzeichnet ist.

Manche Philosophen sind der Auffassung, dass [zweibeinige] Kreaturen, die ausschließlich tierische Eigenschaften wie Unverstand oder Erbarmungslosigkeit aufweisen, auch wirklich zu den Tieren zu zählen sind. Man kann beobachten, dass Jivas in der tierischen Klasse von Wesen zuweilen angeborene kognitive Fähigkeiten besitzen, die zu einem begrenzten Maße der menschlichen Natur ähneln. In Wirklichkeit hat dies aber nichts mit der menschlichen Natur gemein, da man erst dann von einem menschlichen Wesen spricht, wenn das Triebhafte durch Wissen und Vernunft gezähmt wird. Wer diese menschenwürdigen Wesenszüge aufweist, gilt als Mensch.

Unsere vedischen Gelehrten ordnen dem tierischen Verhalten vier zwanghafte Neigungen zu: ahara (Essen), nidra (Schlafen), bhaya (sich Fürchten) und maithuna (sich Paaren). Die menschliche Veranlagung manifestiert sich nur, wenn diese animalischen Impulse beherrscht werden und man Vernunft entwickelt, was als Dharma-vrtti, (die ‘dharmische’ Haltung oder Verhaltensweise) bezeichnet wird. Auch die westlichen Philosophen stellen fest, dass der Mensch ein vernunftbegabtes Wesen sei. Dennoch ist es wichtig anzumerken, dass in der westlichen Philosophie das Verständnis von Vernunft erheblich eingeschränkt ist.

Der Begriff ‘Dharma’ der vedischen Philosophie ist äußerst umfassend. In einem einzigen Aspekt seiner Bedeutung beinhaltet es das westliche philosophische Konzept von Vernunft und reicht weit darüber hinaus, da es den Impetus zur Verehrung Gottes mit einschließt. Dharma ist das wesentliche Merkmal der menschlichen Natur, und Lebewesen die Dharma entbehren, sind als Tiere zu bezeichnen.

In der Hitopadesha (Vers 25) heißt es:

ahara-nidra-bhaya-maithunan ca
samanyam etat pashubhir naranam
dharmo hi tesham adhiko vishesho
dharmena hinah pashubhih samanah

“Hinsichtlich der Tätigkeiten des Essens, Schlafens, sich Fürchtens (sprich, sich Verteidigens) und sich Paarens sind sich Mensch und Tier gleich. Doch das Phänomen der Religion ist allein dem Menschen vorbehalten. Ohne Religion ist er nicht besser als ein Tier.”

Die Bedeutung dieses Shlokas ist, dass die natürliche Neigung der Lebewesen darin besteht, die Sinne durch die Tätigkeiten des Essens, Schlafens, sich Ängstigens und der Paarung zu befriedigen. Diese Tätigkeiten sind beim Menschen und allen anderen Gattungen gleichermaßen zu beobachten; in dieser Sache gibt es keine zweite Meinung. Ein Mensch kann seinem Status als Mensch jedoch nur dann gerecht werden, wenn er eine religiöse Veranlagung besitzt. Die Worte ‘dharmo hi tesham adhiko visheshah’ besagen, dass Dharma die besondere Eigenschaft ist, die den Menschen von Tieren und anderen Arten unterscheidet. Jene, denen Dharma völlig fremd ist, können genau genommen nicht als Menschen bezeichnet werden. Die Worte “dharmena hinah pashubhih samanah’ bedeuten, dass Menschen, die ohne Dharma sind, den Tieren gleichen. Aus diesem Grunde werden in unserem Land die Menschen, die kein Dharma praktizieren, Nara-pashu (tiergleiche Menschen) genannt.

Es ist besonders bemerkenswert, dass die Leute heutzutage Dharma aufgegeben und dem Essen und verschiedenen anderen Formen des Sinnengenusses verfallen. Den Sinnen zu frönen ist die Neigung von Tieren, sowie anderer Gattungen als den Menschen. Aufgrund des Einflusses des Kali-yugas degeneriert die Menschheit und entwickelt sich rückläufig hin zum triebhaften Verhalten. Deshalb können der Shastras zufolge gegenwärtig nur wenige überhaupt als menschliche Wesen eingestuft werden. Hätte der Autor dieses Buch Manushya-dharma genannt, dann wären nach der shastrischen Definition vom Menschsein die meisten von dieser Praxis ausgeschlossen worden. Aus diesem Grunde wählte Srila Bhaktivinoda Thakur, der das Wohlergehen aller wünscht, den weit gefassten Titel Jaiva Dharma und hat somit die Konventionen der Shastra vollkommen bewahrt. Dharma, also die Verehrung Sri Bhagavans, findet man nur bei Menschen, nicht bei Tieren, Vögeln und anderen Spezies. Als die am höchsten entwickelte Gattung sind die Menschen im Besonderen für die höchsten Lehren, heißt Dharma, qualifiziert. Das Jaiva Dharma ist dafür gedacht, speziell von ihnen studiert zu werden.

Sri Chaitanya Mahaprabhus einzigartige Eigenschaft ist, selbst zutiefst gefallenen Menschen barmherzig zu sein und sie damit zu befähigen, Seinen erhabenen Lehren zu folgen. Solche Gnade wurde von keinem anderen Avatar gewährt. Daher ist Sriman Mahaprabhu im Vidagdha-madhava (1.2) mit äußerst bedeutungsvollen Worten verherrlicht worden:

anarpita-carim cirat karunayavatirnah kalau
samarpayitum unnatojjvala-rasam sva-bhakti-shriyam
harih purata-sundara-dyuti-kadamba-sandipitah
sada hrdaya-kandare sphuratu vah shaci-nandanah


“Möge Sri Sacinandana Gaurahari, der herrlicher erstrahlt als geschmolzenes Gold, ewiglich im tiefsten Innern unserer Herzen erscheinen. Aus Seiner grundlosen Barmherzigkeit ist Er im Zeitalter von Kali erschienen, um der Welt den Reichtum Seiner eigenen Hingabe zu schenken. Dieser Reichtum ist das unübertroffen brillante Empfinden von Ujjvala-rasa, die höchst vertrauliche Gemütsstimmung, die im Dienst zur Liebesbeziehung des göttlichen Paares Radha und Krishna entsteht. Diese seltene Gunst ist seit äußerst langer Zeit nicht mehr gegeben worden. Menschen die diese Gnade erhalten, können sehr leicht für immer von der Fessel Mayas befreit werden und mit großem Glück Krishna-prema empfangen.”

Der Autor hat mit diesem Vers die Besonderheit Sriman Mahaprabhus vollendet erfasst.

Im elften Kapitel des Jaiva-Dharma, im Gespräch zwischen dem Mullah Sahib und den Vaishnavas, weist der Autor nach, dass alle Menschen für Vaishnava-dharma geeignet sind. Er belegt diese Schlussfolgerung mit logischer Analyse und eindeutigen Beweisen der Shastra. Ob man Urdu, Farsi, Englisch oder irgendeine andere Sprache spricht, jeder kann ein Vaishnava werden; es ist nicht nur auf diejenigen begrenzt, die Sanskrit verstehen. Tatsächlich ist zu beobachten, dass viele, die Hindi, Bengali, Oriya, Assamesisch, Tamil, Telegu oder eine andere indische Sprache sprechen, bereits die erhabene Stellung eines Vaishnavas erlangt haben. In der Tat sind Menschen mit praktisch jedem beliebigen sozialen oder religiösen Hintergrund dazu befähigt. Sprachliche Diskrepanz ist sicherlich keine Disqualifikation. Ungeachtet der Meinung derjenigen [orthodoxen Gaudiyas], die unter Umständen Einwände bezüglich der Sprache hätten, verbreitete Srila Bhaktivinoda Thakur die transzendentalen Lehren Sriman Mahaprabhus in verschiedenen Sprachen. Er verfasste ungefähr einhundert Bücher in Sanskrit, Bengali, Oriya, Hindi, Urdu und Englisch. Die Titel einiger der bedeutenderen Werke sind im Folgenden mit ihrem Veröffentlichungsdatum aufgeführt:

Sanskrit

1 Vedantadhikarana-mala, 1872
2 Datta-kaustubham, 1874
3 Datta-vamsha-mala, 1876
4 Bauddha-vijaya-kavyam, 1878
5 Sri Krishna-samhita, 1880
6 Sanmodana bhashya (Sikshashtakam), 1886
7 Dashopanishad-curnika, 1886
8 Bhavavali (Kommentar), 1886
9 Sri Chaitanyacaranamrta bhashya (Kommentar zur Sri Chaitanya-Upanishad), 1887
10 Sri Amnaya-sutram, 1890
11 Tattva-vivekah bzw. Sri Saccidanandanubhutih, 1893
12 Tattva-sutram, 1894
13 Vedarka-didhiti (Kommentar zur Sri Ishopanishad), 1894
14 Sri Gauranga-lila-smarana-mangala-stotram, 1896
15 Sri Bhagavad-dhamamrtam (Kommentar), 1898
16 Sri Bhagavata Arka-marici-mala, 1901
17 Sri Bhajana-rahasya, 1902
18 Svaniyama-dvadashakam, 1907
19 Brahmamsutra bhashya (Kommentar)
20 Siksha-dashamulam

Bengali (Prosa)

1 Garbha-stotra (Übersetzung), 1870
2 Sri Sajjana-toshani (monatliches Magazin), 1881
3 Rasika-Ranjana (Kommentar zur Bhagavad-gita), 1886
4 Sri Chaitanya Sikshamrta, 1886
5 Prema-pradipa, 1886
6 Sri Vishnu-sahasra-nama (Veröffentlichung), 1886
7 Vaishnava-siddhanta-mala, 1888
8 Siddhanta-darpanam (Bengali-Übersetzung), 1890
9 Vidvad-ranjana (Kommentar zur Bhagavad-gita), 1891
10 Sri Harinama, 1892
11 Sri Nama, 1892
12 Sri Nama-tattva, 1892
13 Sri Nama-mahima, 1892
14 Sri Nama-pracara, 1892
15 Sriman Mahaprabhura Siksha, 1892
16 Tattva-muktavali bzw. Mayavada-shatadushani (Übersetzung und Veröffentlichung), 1894
17 Amrta-pravaha-bhashya (Kommentar zum Chaitanya-caritamrta), 1895
18 Sri Ramanuja Upadesha, 1896
19 Jaiva-Dharma, 1896
20 Prakashini-vrtti (Kommentar zur Brahma-samhita), 1897
21 Piyusha-varshini-vrtti (Kommentar zum Upadeshamrta), 1898
22 Sri Bhajanamrtam (Übersetzung und Kommentar), 1899
23 Sri Sankalpa-kalpadruma (Übersetzung), 1901 etc.

Bengali (Lyrik)

1 Hari-katha: Themen bezüglich Sri Hari, 1850
2 Sumbha-Nishumbha-yuddha, 1851
3 Vijana-grama, 1863
4 Sannyasi, 1863
5 Kalyana-kalpataru, 1881
6 Manah-Siksha (Übersetzung und Kommentar), 1886
7 Sri Krishna-vijaya (Veröffentlichung), 1887
8 Sri Navadvipa-dhama-mahatmya, 1890
9 Saranagati, 1893
10 Gitavali, 1893
11 Gitamala, 1893
12 Soka-shatana, 1893
13 Sri Navadvipa-bhava-taranga, 1899
14 Sri Harinama-cintamani, 1900
15 Sri Prema-vivarta (Veröffentlichung), 1906

Urdu

1 Valide Rejishtri, 1866 etc.

Englisch

1 Poriade, 1857-58
2 Mathas of Orissa, 1860
3 Our Wants, 1863
4 Speech on Gautama, 1866
5 The Bhagavat: Its Philosophy, Its Ethics, and Its Theology, 1869
6 Reflections, 1871
7 Thakura Haridasa, 1871
8 The Temple of Jagannatha at Puri, 1871
9 The Monasteries of Puri, 1871
10 The Personality of Godhead, 1871
11 A Beacon of Light, 1871
12 Sri Chaitanya Mahaprabhu, His Life and Precepts, 1896
13 Saragrahi Vaishnava, 1871
14 To Love God, 1871
15 The Atibadis of Orissa, 1871
16 The Marriage System of Bengal, 1871
17 Review of Nitya-rupa-samsthapanam, 1883
18 Vishva-Vaishnava-Kalpatari, 1885
19 Sri Chaitanya-Upanishad (Kommentar), 1887
20 Sri Godruma Kalpatari (Abhandlung über Nama-hatta), 1891
21 Nama Bhajana, 1893
22 Sri Krishna-karnamrtam (Übersetzung), 1898
23 The Hindu Idols, 1899

Betrachtet man diese Liste, wird schnell deutlich, dass der Autor ein äußerst gebildeter und in vielen verschiedenen Sprachen bewanderter Gelehrter war. An dieser Stelle halte ich es für notwendig, eine Besonderheit seines Lebens etwas genauer zu beleuchten. Obwohl er ein überragender Gelehrter europäischen Gedankenguts war, blieb er völlig frei von westlichen Einflüssen. Westliche Lehrer sagen: “Folge nicht mir, sondern meinen Worten”, oder anders ausgedrückt: “Tue nicht, was ich tue; tue was ich sage.”
Das Leben von Srila Bhaktivinoda Thakur widerlegt dieses Prinzip, denn er wendete die Lehren seiner Bücher selbst an und demonstrierte sie an seinem persönlichem Beispiel. Aus diesem Grund sind seine Unterweisungen und seine Methode des Bhajan als Bhaktivinoda-dhara (Bhaktivinodas Weg) bekannt. Es gibt nicht eine einzige Anweisung in seinen Büchern, die er nicht persönlich befolgte. Daher gibt es keine Widersprüchlichkeit zwischen seinen literarischen Werken und seinem Leben; zwischen seinen Worten und seinen Taten. Sie sind in jeglicher Hinsicht eins.

Es ist natürlich, dass die Leser neugierig sind, etwas über eine große Persönlichkeit zu erfahren, die einen solch außergewöhnlichen Charakter besitzt. Insbesondere der moderne Leser, der über jedes Thema Bescheid wissen möchte, kann den Worten eines Autors keinen Glauben schenken, ohne mit ihm vertraut zu sein. Deshalb möchte ich Srila Bhaktivinoda Thakur einige Zeilen widmen.

Wenn man die Biographie von Maha-purushas bespricht (große selbstverwirklichte Persönlichkeiten, transzendental zum irdischen Dasein), wäre es ein Fehler, ihre Geburt, ihre Lebensspanne und ihren Tod mit dem gewöhnlicher Sterblicher zu vergleichen, denn diese Maha-purushas sind jenseits von Geburt und Tod. Sie existieren in der ewigen Wirklichkeit und ihr Eintritt und Verscheiden in dieser Welt ist ausschließlich eine Sache ihres selbstbestimmten Erscheinens und Fortgehens.

Srila Bhaktivinoda Thakur erschien am Sonntag, dem 2. September 1838 und erhellte so den Himmel des Gaudiya Vaishnavatums. Er wurde in dem Dorf Vira-nagara (auch bekannt als Ulagrama oder Ula) in einer hochrangigen Familie geboren. Dieser Ort liegt in West-Bengalen im Distrikt Nadiya, nicht weit von Sridham-Mayapur, dem Erscheinungsort Sri Gaurangas. Am 23. Juni 1914 verließ er in Kalkutta diese Welt und trat zeitgleich in die mittäglichen Spiele von Sri Sri Gandharvika-Giridhari ein, deren Verehrung das höchste Ziel der Gaudiya Vaishnavas ist. In seiner kurzen Lebensspanne von 76 Jahren unterrichtete er die Welt, indem er persönlich die Aufgaben der vier Ashrams (Abschnitte des spirituellen Lebens) wahrnahm: Brahmacharya (zölibatäres Studentenleben), Grihastha (religiöses Haushälterleben), Vanaprastha (Rückzug von weltlichen Pflichten) und Sannyas (offizieller Stand der Entsagung). Zunächst unterzog er sich dem Brahmacharya und erhielt vielfältige erhabene Unterweisungen. Dann trat er in den Stand des Grihastha ein und setzte das ideale Beispiel, wie man auf ehrliche und edle Weise für seine Familie sorgt. Alle Haushälter sollten diesem Vorbild folgen.

Während seines Grihastha-Lebens reiste Srila Bhaktivinoda, als hochrangiger Beamter der Verwaltungs- und Justizbehörde, im Auftrag der britischen Regierung durch ganz Indien. Dank seines herausragenden Urteilsvermögens und seiner Kompetenz in verwaltungstechnischen Belangen, gelang es dieser großen Persönlichkeit, selbst in jenen Gebieten, die für ihre Gesetzlosigkeit berüchtigt waren, System und Ordnung zu bringen. Seine Zeitgenossen waren erstaunt, welches religiöse Ideal er inmitten seiner Familienpflichten an den Tag legte. Obwohl er mit dringenden Verpflichtungen beschäftigt war, schrieb er so viele Bücher in verschiedenen Sprachen. Wir haben die Daten der Veröffentlichung in unserer Liste seiner Bücher festgehalten. Wenn der Leser sie betrachtet, wird Srila Bhaktivinodas unglaubliche kreative Schaffenskraft deutlich.
Nachdem er seine staatlichen Ämter niedergelegt hatte, nahm er die Rolle eines Vanaprastha an und intensivierte seine spirituelle Praxis. Zu dieser Zeit gründete er einen Ashram am Surabhi-kunj in Godrumadvip, einem der neun Bezirke von Nawadvip. Srila Bhaktivinoda Thakur widmete sich dort für geraume Zeit seinem Bhajan.

Später führte er am nahegelegenen Svananda-sukhada-kunj das Leben eines Asketen. In dieser Zeit enthüllte er Sri Chaitanya-devas Erscheinungsort, sowie viele weitere Schauplätze Seiner transzendentalen Spiele. Somit folgte er dem Vorbild von Sri Chaitanya Mahaprabhu und Seinen Nachfolgern, den sechs Goswamis, die den Geburtsort und andere Verweilorte Sri Krishnas offenbarten. Wäre Srila Bhaktivinoda Thakur nicht in dieser Welt erschienen, wären sowohl die Schauplätze der Spiele Sri Gauranga Mahaprabhus, als auch Seine Lehren verloren gegangen. Die gesamte Welt der Gaudiya Vaishnavas wird ihm daher für immer zu Dank verpflichtet sein. Aus diesem Grund wurde ihm die höchste Ehre der Vaishnava-Gemeinde zuteil, indem man ihn als den ‘siebten Goswami’ anspricht.

Diese große Seele lehrte die Welt sowohl durch das vorbildliche Beispiel seines persönlichen Lebens, als auch durch die von ihm in verschiedenen Sprachen verfassten Bücher. Darüber hinaus hat er uns aber noch ein weiteres einzigartiges Geschenk gewährt, und es wäre ein Zeichen von Undankbarkeit meinerseits, wenn ich versäumen würde, dies zu erwähnen. Srila Bhaktivinoda Thakur brachte eine große Persönlichkeit in diese Welt, welche der metaphorische Oberbefehlshaber zur Verbreitung des Dharmas wurde, welches Sri Chaitanya Mahaprabhu offenbarte. Diese große Persönlichkeit ist mein geliebter Gurudeva, der in der ganzen Welt als Jagad-guru Om Vishnupada Paramahangsa-kula-chudamani Ashtottara-shata Sri Srimad Bhaktisiddhanta Sarasvati Goswami Thakur berühmt ist. Es war eine unvergleichliche und einzigartige Errungenschaft von Srimad Bhaktivinoda Thakur, diesen Maha-purusha in diese Welt zu bringen. Die Vaishnava-Gemeinschaft ehrt Srila Bhaktisiddhanta Sarasvati Thakur durch den kürzeren Titel ‘Srila Prabhupada’, und im weiteren Verlauf werde ich mich auf diese vollkommen befreite Persönlichkeit (Maha-purusha) als ‘Srila Prabhupada’ beziehen.

Srila Prabhupada erschien als Srila Bhaktivinoda Thakurs Sohn und Nachfolger. In der ganzen Welt hisste er das strahlende Banner des Sri Madhva-Gaudiya-Vaishnava-dharmas, welches von Sriman Mahaprabhu, Sri Chaitanya-deva, praktiziert und propagiert wurde. Dadurch segnete und erhob er in einem erstaunlichen Ausmaß die religiöse Welt. Selbst westlichen und fernöstlichen Ländern wie Amerika, England, Deutschland, Frankreich, Schweden, die Schweiz und Burma wurde seine Barmherzigkeit nicht vorenthalten. Er gründete 64 Predigerzentren der Gaudiya Math in und außerhalb Indiens und verbreitete von dort aus die Lehren Sri Chaitanyas. Weiterhin brachte er Srila Bhaktivinoda Thakurs Schriftwerke in Umlauf und begründete so dessen weltweiten, unvergleichlichen Ruhm. Durch den Einfluss der Zeit und den zerstörerischen Ansturm des Kali-Zeitalters hatten diverse korrumpierte und irreführende Doktrinen den Gaudiya-Vaishnava-dharma unterwandert. Infolgedessen entstanden dreizehn nicht authentische Strömungen (Apasampradayas), die in folgendem Shloka aufgeführt werden:

aola baola karttabhaja neda darvesha sai
sahajiya sakhi-bheki smartta jati-gosai
atibari chudadhari gauranga-nagari
tota kahe e teraha sanga nahi kari

“Tota sagt, dass er mit den dreizehn apasampradayas nicht verkehren wird: Aol, Baol, Karttabhaja, Neda, Darvesha, Sai, Sahajiya, Sakhi-bheki, Smartta, Jati-gosai, Atibari, Chudadhari sowie Gauranga-nagari.”

Srila Prabhupada gelang es die Machenschaften dieser Apasampradayas durch seine Predigertätigkeit und die Veröffentlichung von Srila Bhaktivinoda Thakurs Werken erheblich einzudämmen. Ungeachtet dessen tendieren aufgrund des Einflusses des gegenwärtigen Kali-Zeitalters Religionsgemeinschaften leider dazu, sich vorrangig fürs Essen, Freizeit und materielle Absicherung zu interessieren. In Wirklichkeit sind all diese Dinge nur andere Namen für primitive Neigungen oder die Ausweitung triebhafter Bestrebungen. Wir haben dies bereits besprochen.

Das Jaiva Dharma erläutert umfassend die Natur von Dharma, unsere Beziehung zum Dharma, das Ergebnis vom Befolgen des Dharma, die wahre Bedeutung von Dharma, sowie die Tatsache, dass es sich bei sogenannter Religion, welche vom Einfluss Kalis getrieben wird, nicht um Dharma handelt und viele weitere Themen. Tatsächlich kann man die Bedeutung aller Shastras in kondensierter Form erfassen, allein durch das Studium dieser kompakten Abhandlung, welches durch das Medium von Fragen und Antworten eine vergleichende Analyse aller Weltreligionen enthält. Kurz gesagt, füllt die Essenz aller Schriften Indiens dieses kleine Buch, gleich dem Ozean einen irdenen Krug. Ohne zu übertreiben kann man sagen, dass wenn religiös gesinnte Menschen sich nicht mit dieser Lektüre befassen, es in ihrem Leben mit Sicherheit einen Mangel an philosophischem Wissen bezüglich spiritueller Wahrheiten geben wird.

Ich lade die Leser ein, das Inhaltsverzeichnis zu konsultieren, um sich einen Eindruck von der Bandbreite der wichtigen Themen zu verschaffen, die in diesem Schriftwerk behandelt werden. Der Autor hat die Shastra-maryada (Konvention der Shastra) bewahrt, indem er die Wahrheit entsprechend der Unterteilungen in Sambandha, Abhidheya und Prayojan erläutert. Spirituelle Themen sollten immer in dieser angemessenen Reihenfolge präsentiert werden, beginnend mit Sambandha (Erkenntnis der eigenen Beziehung zu Sri Krishna), gefolgt von Abhidheya (Beschäftigung mit den Mitteln, um Liebe zu Sri Krishna erwecken) und schließlich Prayojan (Einsicht in die Errungenschaft der Liebe zu Sri Krishna). Einige unerfahrene Autoren verstoßen gegen diese Reihenfolge und besprechen Prayojan-tattva vor Sambandha-tattva und Abhidheya-tattva. Dies steht jedoch im völligen Widerspruch zu den Schlussfolgerungen der Veden, Upanishaden, Puranas, Mahabharata und insbesondere des Srimad Bhagavatams, dem Kronzeugen aller spirituellen Beweisführung.

Der erste Teil des Buches enthält eine Analyse des Nitya-dharmas und des Naimittika-dharmas. Das heisst, eine Untersuchung der ewigen religiösen Tätigkeiten in Beziehung zur ursprünglichen Natur der Seele, sowie die Auswertung von umstandsbedingten und vorübergehenden religiösen Aufgaben, welche sich auf die moralischen Verpflichtungen in dieser Welt beziehen. Der zweite Teil erläutert, sich auf solide Belege der Shastra stützend, ausführlich die Wahrheiten hinsichtlich Sambandha, Abhidheya und Prayojan. Im dritten Teil findet sich eine tiefgründige Erörterung über die Natur von Rasa.

Man sollte, in Übereinstimmung mit Srila Prabhupadas Auffassung, sich mit Rasa-vichar (der Erörterung der vertraulichen, transzendentalen Gemütsstimmungen von Bhakti) nicht befassen, bevor die dazu notwendige höhere Eignung erworben wurde. Ein unqualifizierter Sadhaka wird seinen Fortschritt eher behindern, als ihn zu fördern, wenn er sich unerlaubt den Themen des Rasa-vichar widmet. Srila Prabhupada drückte dies in zahlreichen Artikeln klar aus, wie in Bhai Sahajiya (Mein Bruder, der du die Heiligkeit des spirituellen Lebens herabwürdigst, indem du deine materiellen Triebe mit spirituellen Gefühlen gleichsetzt) und in Prakrta-rasa-shata-dushani (Einhundert Einwände bezüglich verzerrter materieller Empfindungen). Daher sollte man in dieser Angelegenheit Vorsicht walten lassen.

Das ursprüngliche Jaiva Dharma wurde in Bengali verfasst, jedoch macht diese Lektüre ausgiebig von Sanskrit Gebrauch, da es viele Zitate aus den Shastras enthält. In kürzester Zeit erschienen mindestens zwölf Großauflagen dieses Buches in Bengali, wodurch dessen Beliebtheitsgrad deutlich wird. Die vorliegende Hindi-Ausgabe des Jaiva Dharma wurde von der Gaudiya Vedanta Samiti, entsprechend der Druckvorlage der aktuellsten Bengali-Ausgabe, in einem neuen Format gedruckt. Tridandi Swami Sri Srimad Bhaktivedanta Narayan Maharaj, der äußerst kompetente Herausgeber des monatlich erscheinenden spirituellen Magazins Sri Bhagavat Patrika, scheute keinerlei Mühen um dieses Schriftwerk ins Hindi zu übersetzen; und anschließend in dem besagten Magazin über einen Zeitraum von sechs Jahren hinweg in einer Serie von Artikeln zu veröffentlichen. Aufgrund wiederholter Anfragen vieler treuer Leser, hat er nun diese Artikel zum Wohle der Hindi-sprechenden religiösen Bevölkerung in Buchform herausgebracht.

In diesem Zusammenhang möchte ich erwähnen, dass die Muttersprache unseres höchstverehrten Übersetzers Hindi ist und er Bengali erlernte, um diese Abhandlung zu studieren. Nachdem er nicht nur die Sprache, sondern auch den Inhalt dieses Schriftwerks vollkommen verinnerlicht hatte, nahm er die schwere und umfangreiche Arbeit auf sich, es ins Hindi zu übersetzen. Es erfreut mich zutiefst, dass er die nuancierte Philosophie, die tiefgründige Analyse von Rasa, sowie die erhabenen und subtilen Gemütsstimmungen des Originals meisterhaft bewahrt hat. Die Hindi-sprechende Welt wird ihm für dieses monumentale Werk für immer zu Dank verpflichtet sein. Insbesondere Srila Prabhupada und Srila Bhaktivinoda Thakur werden ihm für seinen unermüdlichen Dienst sicherlich bedeutenden Segen schenken.

Dass mein eigener Name im Zusammenhang mit der Bearbeitung dieser Publikation genannt wurde, hat seine Ursache einzig in dem Wohlwollen, dass die Sadhakas für mich hegen, die an der Produktion des Buches beteiligt waren. In Wirklichkeit vollbrachte der Übersetzer und Verleger Tridandi Swami Sri Srimad Bhaktivedanta Narayan Maharaj die gesamte Arbeit und daher möchte ich ihn meiner besonderen Zuneigung, sowie meiner Segnungen versichern.

Ich habe volles Vertrauen, dass sowohl die gläubige Bevölkerung, als auch die gebildeten Gelehrten dieses Landes, durch das Studium dieses literarischen Werkes Wissen über die fundamentalen Wahrheiten von Sambandha, Abhidheya und Prayojan erhalten werden; so wie sie von Sri Chaitanya Mahaprabhu praktiziert und gepredigt wurden. Auf diese Weise werden sie in der Lage sein, in das Prema-dharma von Sri Sri Radha-Krishna und Sri Chaitanya Mahaprabhu einzutauchen. Abschließend möchte ich die Leser bitten, uns in reichem Maße zu segnen, indem sie dieses Buch mit großer Aufmerksamkeit studieren.

Sri Keshavaji Gaudiya Math
Mathura, Uttar Pradesh, 1966

Srila Prabhupada Kinkara
Tridandi-bhikshu Sri Bhakti Pragyan Keshava


übersetzt von: Akilesh Prabhu & Braj Balla Devi
überarbeitet von: S.G. Chandra

No responses yet

Kommentar verfassen