Kommentar zu einem Blogbeitrag:
Der Blogbeitrag „Ursache und Wirkung“, der Brief der Gottschwester, sowie Deine Antwort darauf sind für mich sehr inspirierend, lieber S.G. Chandra. Nun bin ich am Anfang meiner spirituellen Reise zu meinem höheren Selbst und am Anfang des Aufbaus und der Pflege meiner Beziehung zu Gott. Ich habe so viele Fragen. Zu einigen – mich aktuell beschäftigenden – Fragen möchte ich im Folgenden hinführen.
Zu den erhabenen Charaktereigenschaften gehören u.a. das Loslösen von Sinnenfreuden.
Eines der charakterisierenden Merkmale des Kali-yuga wird im zweiten Kapitel des zwölften Kanto des Srimad Bhagavatam, Text 3, aufgeführt: „…Männer und Frauen werden nur aufgrund oberflächlicher Anziehungskraft zusammenleben…“. So frage ich mich, wie ich mit dem Bedürfnis nach Nähe und Beziehung zum (in meinem Fall) anderen Geschlecht umgehen kann.
Wie weit gehe ich Nähe ein und wann löse ich mich los?
Ist es sinnvoll dem Gefühl der Verliebtheit statt zu geben?
Oder sollte Hormonen keinen Raum gegeben werden, über den Geist zu herrschen?
Wie gehe ich mit der Tatsache um, dass Äußerlichkeiten und das Handeln einer Person attraktiv auf mich wirken und der Impuls besteht, Nähe herstellen zu wollen?
Wenn Männer und Frauen nicht nur aufgrund oberflächlicher Anziehungskraft zusammenleben sollten, so ist es ja meistens trotzdem die erste Ebene der oberflächlichen Anziehungskraft, welche einen zusammen führt. Bis man sich dann ggf. besser kennen lernt und einschätzen kann, ob die Werte und Lebensvorstellungen zueinander passen.
Oder stellt die oberflächliche Anziehungskraft eine Sinnesfreude dar, von der es sich loszulösen gilt?
Wäre die romantische Beziehung zu einer anderen Person etwas, was der Beziehung zu Gott im Wege steht?
Könnte man die Beziehung zu Gott innerhalb einer romantischen Beziehung zusammen leben?
Danke Dir im Voraus für Deine Gedanken! Ich hoffe ich konnte meine Fragen gut ausdrücken…
Antwort von S.G. Chandra:
Hallo Ananda,
vielen Dank für Dein Interesse und Deine Wertschätzung.
Die Anziehung zwischen dem Männlichen und dem Weiblichen ist das Ursächlichste was diese Welt antreibt, und die Spannung zwischen diesen beiden Polen, was uns oft vorrangig beschäftigt. Letztlich ist es Bestandteil unserer spirituellen Reise, sich von dieser Welt zu lösen und dem, was sie bewegt, daher gilt es tatsächlich die Anziehungskraft der Sinne zu überwinden und fest im Zaum zu halten. Dabei ist das richtige Maß zu finden, wo wir weder zu nachlässig, noch zu streng sind. Andernfalls bewegen wir uns nur von einem Extrem ins andere. Unsere Sinne sind wie ein wildes Pferd, dass es zu zähmen gilt. Mal muss man die Zügel für ein kontrolliertes Ausbrechen locker lassen um ein unbeherrschbares Ausschlagen zu vermeiden.
Für einige Wenige ist der Pfad der Askese gut und naheliegend, für die Mehrheit ist die Institution der Ehe das gottgegebene Instrument, um das richtige Maß und letztlich Loslösung in der Begierde nach dem anderen Geschlecht zu finden. Es ist ein Sakrament, also ein Opfer, dass man erbringt, um den Bund zwischen zwei Menschen zu heiligen. Die Wortwurzel von Sakrament ist sacer (lat.), was heilig oder unverletzlich bedeutet und von dem sich das englische “sacrifice” ableitet. Der Sinn der Ehe als einen unverletzlichen Bund ist uns allen geläufig und auch die Verpflichtung der Partner zueinander. Es gibt jedoch eine tieferliegende Bedeutung: Jedes Ritual folgt einer bestimmten Methodik um das Ziel des „heil“, „ganzheitlich“ werden ergo „heilig machen“ zu erreichen. Die Methode hierbei erschließt sich uns leicht aus dem englischen Begriff für die Ehe, matrimony. Matrimony kommt von mater (lat.), welches “Mutter” bedeutet. Daher erfüllt das Ritual der Ehe ihren Zweck, wenn eine Mutter kreiert, also ein Kind geboren und aufgezogen wird.
Die Verantwortung für ein Kind ist der natürliche Preis für das erotische Vergnügen und schenkt eine Aufgabe, welche die Beziehung von der Ebene des Genusses zur Ebene der Pflichterfüllung erhebt. Dies wird oft verkannt und als Belastung gesehen, statt als Chance über sich selbst hinauszuwachsen. Es verändert die Dynamik einer Partnerschaft grundlegend, denn nun ist der Mann nicht mehr das vorrangige Objekt weiblicher Hingabe, sondern er ist vielmehr gefordert, seine Frau umfassend zu unterstützen, die sich dafür voll ihrer Mutterrolle widmen darf. Diesen Übergang von Genuß zur Pflicht überleben viele Beziehungen im Westen nicht. Stattdessen bewegt man sich von einer Beziehung in die Nächste, ohne jemals Sättigung zu erlangen. Selten versteht man es, nicht nur die anfänglichen, aufregenden Knospen einer Beziehung zu genießen, sondern auch die reife, durch Herausforderungen gewachsene Blüte zu erfahren. Erst im Erreichen dieser Vollendung ist der Pfad der sinnlichen Freude gegangen und bereit, hinter sich gelassen zu werden.
Es muss nicht immer unbedingt ein leibliches Kind sein, aber dann zumindest ein metaphorisches Kind im Sinne eines gemeinsamen Projektes. In jedem Fall gilt das Prinzip, dass eine Beziehung vom sich gegenseitig konsumieren zum dienen für eine gemeinsame Sache erhoben werden muss. Dienst zu einer Sache, die bedeutsamer ist als die Beziehung selbst und sie daher übersteigt. Für viele Frauen gehört es jedoch zu ihrer natürlichen Berufung, ihre einzigartigen Gaben des Kindergebärens und der mütterlichen Liebe zu leben. Und somit bleibt es die zweckerfüllende Aufgabe der meisten Beziehungen.
Dazu möchte ich gerne Rabindranath Thakur zitieren:
“Ich schlief und träumte, das Leben sei Freude.
Ich erwachte und sah, das Leben war Pflicht.
Ich handelte, und siehe, die Pflicht war Freude.”
Hierzulande ist die Ehe oft eher eine besonders romantische Liebeserklärung, eine Statusanzeige und Signal der Exklusivität der Beziehung an die Außenwelt. Eine anfängliche, sinnliche Anziehungskraft schadet sicher nicht und ist in einer Kultur, wo der Liebesreigen romantisch verklärt inszeniert und glorifiziert wird, sogar essentiell. Jedoch selbst in Kulturen arrangierter Ehen wird darauf geachtet, dass die Ehepartner attraktiv füreinander sind, oder zumindest Anziehung zueinander lernen können. Wie sonst sollen Kinder entstehen? Dort bedeutet die Ehe jedoch nicht nur den Bund zweier Menschen, sondern die Verbindung zweier Familien – weshalb sie ja auch bei der Wahl des Partners mitreden – was ein weiteres Element der Verantwortung und Pflicht hinzufügt.
Wir sind Europäer, infiziert mit dem Wolkenschloss von Hollywood und Popculture. Hier wird das Individuum zelebriert und über die Gemeinschaft gestellt. Das diesem Liberalismus zugrundeliegende Streben nach Selbstentfaltung ist begrüßenswert, nur haben wir uns somit den Strukturen und Gepflogenheiten von Großfamilien entfremdet. Wir können sie nicht einfach so wieder anlegen, sie passen uns nicht mehr. So sehr wir uns im Kern eigentlich nach dem Zuhause und der Einheit sehnen, die uns eine Stammes- oder Klankultur bietet, sind wir oft gar nicht mehr fähig, die Einschnitte hinzunehmen, die das Leben in enger Gemeinschaft erfordert. Aber zumindest können wir uns die Aufgabe erleichtern, indem wir weise in der Wahl unseres Partners sind. Dabei sind ein übereinstimmendes Weltbild mit entsprechenden Werten und Lebensvorstellungen entscheidender für eine langanhaltende Beziehung, als Anziehungskraft und gemeinsame Interessen. Interessen und Anziehungskraft wandeln sich, Werte und Lebensvorstellungen hingegen werden schon früh geprägt und sind daher stärker verankert. Nur leider wissen wir oft gar nicht so genau, was unsere wahren Werte und Ziele sind, noch weniger, wie wir sie kommunizieren.
Auch kann es nicht unerhebliche Schwierigkeiten hervorbringen, wenn der Mann seiner Frau in gesellschaftlichem Status, Bildung, Finanzen und Selbstverantwortung unterlegen ist. Das liegt einfach an der inhärenten Struktur des führenden männlichen und des empfangenden weiblichen Prinzips. Heutzutage ist es nicht unüblich, dass eine Frau die tragende Rolle übernimmt und ein Mann den empfänglichen Part lebt. Das mag gut funktionieren, kann jedoch mit uns selbst kollidieren, je mehr wir uns unserer Essenz nähern, was auf dem spirituellen Pfad zwangsläufig passieren sollte.
Mit einer geeigneten Person kann die Beziehung eine Quelle von Kraft, Schutz (vor allem vor uns selbst und unseren abträglichen Mustern), sowie einer Potenzierung des persönlichen Wirkungsgrades und der Selbstentfaltung für beide Seiten sein. Dies trifft auch zu in Bezug auf unseren spirituellen Pfad und unsere Beziehung zu Gott, sofern beide Partner dieses Thema ins Zentrum ihrer Beziehung stellen. Es ist äußerst potent, wenn sich männliche und weibliche Energie vereint auf ein Objekt oder Projekt richten, es mit ihren jeweiligen Vorzügen und Qualitäten nähren und schmücken. Das Zusammenspiel dieser beiden gegensätzlichen Pole lässt etwas Wohlgeformtes, Ganzheitliches in ihrer Mitte entstehen. So wie eine Blume ihre ganze Schönheit und ihr volles Aroma entfalten kann, wenn sie sowohl das heiße Licht der Sonne, wie auch das kühle Licht des Mondes empfängt.
Vielleicht ist es deshalb so wichtig, sich riechen zu können, weil man ja ein Leben damit verbringt, gemeinsam den Garten einer Ehe zu kultivieren und darin duftende Blumen zu züchten?
Mir fehlt es letztlich an praktischer Erfahrung, da ich fast zwanzig Jahre als Mönch gelebt habe. Nur weiß ich, dass sich die Ideale und Vorgaben der Schriften selten direkt in unserer Zeit und Hemisphäre umsetzen lassen. Aber wir können sie anstreben. Letztlich wird sich das manifestieren, was für uns geeignet und richtig ist.
Ich wünsche Dir von Herzem viel Glück und allen Segen auf Deinem Pfad und dass Du die geeignete Gefährtin (den geeigneten Gefährten?) findest. Ansonsten bleibt als Alternative zu einer erfüllten Beziehung nur die Lust im Feuer rigoroser Askese oder bedingungsloser Gottesliebe zu verbrennen. Und auch dafür geben uns die Veden detaillierte Anleitung.
S.G. Chandra
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